Review: Zeitzeugengespräch mit Lothar Knörzer

19. Juni 2019

Bunt gemischt war die Runde, die sich am sommerlichen Mittwochabend, 19. Juni 2019, im Sporthaus des SV Freistett einfand, um den Erinnerungen eines ehemaligen Weltklasse-Leichtathleten zu lauschen, den eine besondere Beziehung zum SVF verbindet. Und dabei kam Lothar Knörzer erstmals nach 60 Jahren wieder nach Freistett. Die Hanauer Kampfspiele führten den heute 85jährigen Karlsruher in den 1950er Jahren mit seinen Sportkameraden von Phönix Karlsruhe und später vom KSC ins Hanauerland. Dieses traditionsreiche Sportfest, in jener Zeit mit den legendären Straßenstaffeln und den Übernachtungen in Privatquartieren, ist ihm in bester Erinnerung geblieben. Über viele Jahre hielt sein Bahnrekord über die 100m. Eingeladen hatte das SVF Chronik 21-Team, das für das 100. Vereinsjubiläum ein umfassendes Buch zur Vereinsgeschichte herausgeben will. In souveräner Weise führte Fritz Bierer, der Verantwortliche für den Lokalsport in der Acher-Rench-Zeitung und in der Kehler Zeitung, durch den Abend und entlockte dem sympathischen Bronzemedaillengewinner in der 4 x 100m-Staffel von Melbourne 1956 so manches Wissenswertes wie Anekdotisches.

Mit viel Humor und immer wieder einen Witz einstreuend erzählte Lothar Knörzer, wie er als Jugendlicher über einen Vergleichswettkampf zwischen zwei katholischen Kirchengemeinden in Karlsruhe zur Leichtathletik kam. Zunächst waren es die Mittelstrecken, die ihn begeisterten. Auf seine erste Meisterschaft im Waldlauf über 2.300 Meter ist er besonders stolz. Als man an einem Wettkampftag von ihm verlangte, über 100m, 200m, 400m und dann auch noch Staffeln zu laufen und dies jeweils mit Vorläufen, „streikte“ er. In seiner „gnitzen“ Art übrigens: beim 400m-Lauf trottete er dem Feld hinterher. Die Folge war eine Sperre seines Vereins ASV Agon, was ihn veranlasste, sich dem FC Phönix Karlsruhe anzuschließen, dem Verein, der sich im Oktober 1952 mit dem VfB Mühlburg zum Karlsruher Sport Club zusammenschloss. Kaum war Lothar Knörzer Anfang 1952 als 18jähriger beim FC Phönix Karlsruhe aufgenommen, startete er auch schon in Freistett bei den Hanauer Kampfspielen. Fein säuberlich hat er die Zeitungsausschnitte seiner aktiven Zeit gesammelt und in ein dickes Album geklebt, aus denen er über seinen ersten Erfolg in Freistett zitierte. Mit 11,0 Sek hatte er Bahnrekord über die 100m gelaufen. Im Vorlauf übrigens. Aus seinen Erzählungen war noch der Ehrgeiz zu spüren, der ihn zu seinen vielen Erfolgen getragen hat. Denn im Endlauf belegte er hinter Hans Hess aus Kehl und einem Läufer aus Offenburg „nur“ den dritten Platz. Für den Start mussten sich die Sprinter Kuhlen aus der Aschenbahn schaufeln, Startblöcke gab es noch keine. Beim Endlauf war sein Startloch dann so mürbe, dass er durchrutschte und wertvolle Zeit verlor.

Berührend waren seine Schilderungen aus der Nachkriegszeit. Vor Wettkämpfen verzichtete der Vater auf seine Ration Fleisch zugunsten des Sohnes und die Oma verrührte ein rohes Ei mit Rotwein zu einem Krafttrunk. Untrüglich war der Gesichtsausdruck von Lothar Knörzer, als er dies schilderte. Mit drei Brüdern wuchs er in seiner Geburtsstadt Karlsruhe auf, die nach dem Krieg zum großen Teil zerstört war und trotzdem mehr als 60.000 geflüchtete Menschen aufnahm. So bleiben Lothar Knörzer die Sportfeste in Freistett auch als Schlemmerausflüge in Erinnerung. Beim „Schäfer-Beck“ war er während der Hanauer Kampfspiele in Freistett untergebracht und hier wurde er mit Essen so richtig verwöhnt. Bleibend sind auch die Erinnerungen an die Straßenstaffeln am Vorabend des Wettkampftages, 10 mal 100m und 5 mal 200m durch die Ziegler- und die Rheinstraße. Meist hatten die KSCler mit ihm und Heinz Fütterer einen enormen Vorsprung und waren kurz vor dem Ziel zu Späßen aufgelegt. Mit Heinz Fütterer verband Lothar Knörzer eine Freundschaft über 67 Jahre, bis zum Tod des „Weißen Blitzes“ aus Elchesheim-Illingen Anfang dieses Jahres.

Geschickt lenkte Fritz Bierer das Gespräch auf die nationalen und internationalen Wettkämpfe. 21-mal startete Lothar Knörzer in der 4 x 100m-Staffel für Deutschland. Stets war er Startläufer, prädestiniert für die erste Kurve aufgrund seiner Größe von 1,72m. Bemerkenswert für heutige Verhältnisse im Hochleistungssport war sein Gewicht von lediglich 58 kg. Sportlicher Höhepunkt war für Lothar Knörzer die Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Und wäre Schlussläufer Manfred Germar beim Endlauf nicht durch eine Verletzung gehandicapt gewesen, wäre möglicherweise eine noch bessere Platzierung herausgesprungen. Staunend verfolgten die Zuhörer die Schilderung der Reise nach Australien. 48 Stunden dauerte der Flug von Hamburg aus, mit neun Zwischenlandungen. Für den Heimflug ließen sich die Sprinter dann Zeit. Sie tauschten die Flugtickets und wählten die Route über Neuseeland, die Fidschi-Inseln und Hawaii. Angesprochen auf die Prämie, die er für die olympische Medaille erhielt, erzählte Lothar Knörzer, dass diese für Postkarten und Briefmarken für die Familie und Freunde daheim draufgegangen sei. Es war allerdings keine Wehmut dabei, als er dies schilderte, vielmehr große Dankbarkeit auch an seinen langjährigen Arbeitgeber, die Karlsruher Lebensversicherung, allen voran deren Generaldirektor Alex Möller, der ihn persönlich für das nachmittägliche Training freistellte.

Lothar Knörzer beantwortete zahlreiche Fragen aus dem Publikum, Fragen zu Trainingsmethoden, zur damaligen Ernährungsweise, zu Rennverläufen oder speziellen Ergebnissen. Am Ende hatten alle Anwesenden den Eindruck, einem besonderen Ereignis beigewohnt zu haben. Herzlich dankte Heiko Ross als 1. Vorsitzender des Sportvereins Freistett dem Zeitzeugen Lothar Knörzer, dem Gesprächsführer Fritz Bierer und Michel Fritsch vom Film- und Fotoclub Freistett für die filmische Dokumentation. Allseits Zustimmung erhielt Heiko Ross für die Einladung, dieses Gespräch in zwei Jahren, beim Fest des 100. Jubiläums des Sportvereins Freistett zu wiederholen.

 

Celine Schoepperle